LAUDATIO "WERTESTARTER"

 

anlässlich der  Verleihung des WERTESTERNS der Stiftung für christliche Wertebildung WERTESTARTER Berlin an die blu:boks BERLIN am 24.10.2016 in der Evangelischen Akademie Berlin

Torsten Hebel, Martin Knispel, Hartmut Hühnerbein, Carsten Stier

Liebe Gäste,

 

ich freue mich außerordentlich über die Verleihung des ersten Wertesterns der Stiftung für Christliche Wertebildung an die Jugendeinrichtung ['blu:boks] BERLIN für ihre Leistungen in der sozialen und kulturellen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Berliner Stadtteil Lichtenberg. 

 

Ich bedanke mich sehr herzlich für die Ehre, die Laudatio halten zu dürfen, eine Laudatio nicht nur auf den Erfinder und Initiator der ['blu:boks] BERLIN, Torsten Hebel, sondern auch und vor allem auf alle ehrenamtlichen und festen MitarbeiterInnen und Mitarbeiter dieser beispiellosen und einzigartigen Einrichtung in der Bundesrepublik Deutschland. Auf alle Menschen, die die Idee von Torsten Hebel mit Kraft, Geist und Seele füllen, sie stetig weiter entwickeln und verändern.

 

Dieser Wertestern ist für euch, eure geleistete Arbeit. Und dazu beglückwünsche ich euch alle von ganzem Herzen.

 

Ich danke der Stiftung für christliche Wertebildung - namentlich Hartmut Hühnerbein - für das Vertrauen, die passenden Worte für diesen bedeutsamen Tag in der Geschichte der ['blu:boks]

BERLIN zu finden.

 

Der Wertestern wird als Auszeichnung für besonders gelungene, vorbildhafte und beispiellose Projekte vergeben, die sich im Bereich Wertebildung und Werterziehung auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes hervorgetan haben.

 

Die ['blu:boks] BERLIN hat sich die Wertebildung nicht nur auf die Fahnen geschrieben, sie ist das Alleinstellungsmerkmal dieser Einrichtung, die sich deshalb ganz zu recht als „Selbstwertmanufaktur“ bezeichnet. Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit von Kindern und Jugendlichen zu entwickeln und zu stärken, ist das übergeordnete Ziel der Arbeit der ['blu:boks] BERLIN.

 

Jeder Mensch ist einmalig und hat deshalb auch einzigartige Begabungen und Fähigkeiten, die er entwickeln und zum Wohle aller nutzen kann. Doch nicht jedem wird die Möglichkeit eröffnet, das auch zu tun. In der ['blu:boks] BERLIN wird diese Chance ausnahmslos jedem Kind gewährt, egal aus welchem Haushalt es stammt, welcher Religion es zugehörig ist oder welche Sprache es spricht.

 

In der ['blu:boks] BERLIN können Kindern und Jugendlichen ab 8 Jahren kostenlose Workshops in den Bereichen Musik, Tanz, Schauspiel, Kostümdesign, Musikproduktion, bildende Künste und Multimedia besuchen. In diesen Workshops entwickeln die Teilnehmenden mit professionellen Künstlern und Künstlerinnen Projekte wie Rap-Songs, Musikvideos, Kostüme, Theaterstücke, Hörspiele und Choreografien. Die Ergebnisse dieser Projekte fließen in die Entwicklung und Aufführung verschiedener Bühnenauftritte ein.

 

 

Das ist die Seite der kulturellen Bildung, wie sie viele Einrichtungen verfolgen; das, was die ['blu:boks] BERLIN einzigartig macht, zu einem Vorzeigeprojekt, ist allerdings etwas anderes: Wertschätzung des Individuums und christliche Annahme bestimmen die Arbeitskultur der ['blu:boks] BERLIN.

 

Vor fünf Jahren fragte mich ein befreundeter Regisseur, der heute als Leiter der ['blu:boks] BERLIN im Publikum sitzt, ob ich für ein paar Tage nach Berlin kommen könne, um eine große Theaterproduktion, an der 60 Kinder von 8 bis 18 beteiligt sein würden zu unterstützen. Es gäbe kein Geld, aber der Kaffee wäre kostenlos und mich würde jede Menge Dankbarkeit erwarten.

 

Meine Aufgabe wäre ganz einfach, zehn Kinder zwischen 8 und 10 Jahren würden als Elfen und Trolle verkleidet auftreten, sich in eine Reihe stellen, einen Text von Gandhi chorisch sprechen und wieder abgehen. Und dafür soll ich 3 Tage proben?

 

Die Hälfte der Kinder kam zu spät, die andere Hälfte wollte lieber spielen, zwei Kinder stritten sich, zwei spielten Verstecken auf der Toilette, kein Kind war bereit, das Kostüm anzuziehen, drei Kinder weinten, ein paar coole Jungs aßen und tranken, was auf einer Bühne streng verboten ist, ein Mädchen schrie mich an, wie doof das Proben sei, weitere Kinder schlossen

sich dieser Ansicht an und informierten mich: „Wir gehen jetzt zum Musik-Workshop!“ Und zu allem Überfluss hatte ich auch noch vorgeschlagen, alle mögen doch die Schuhe ausziehen.

 

Das Versprechen auf einen Pause mit Äpfeln und Kartenspielen besänftigte alle und ließ sie schließlich – Aufstellungsdauer ca. 10 Minuten – eine Reihe bilden, die einer Banane glich, aber immerhin standen alle nebeneinander und so schien mir der Moment gekommen, den Text nun endlich chorisch zu proben. Was sich leider als unmöglich herausstellte. Erstens, niemand konnte Text, zweitens, spontan zu lernen hatte niemand Lust und vom Blatt ablesen – das konnten die meisten nicht.

 

Das war der Moment, in dem mir der Kragen geplatzt ist. Ich brach die Probe ab, zog die Pause für die Kinder vor und versteckte mich auf der Toilette, weil ich sonst womöglich irgendjemanden angeschrien oder ein Elfenkostüm zerstört hätte. Auf der Toilette nachdenkend, habe ich natürlich die Schuld für diese misslungene Probe nicht bei mir selbst gesucht, sondern alles auf die „schlimmen Kinder“ geschoben: Die Kinder hatten keine Lust, waren undiszipliniert, anstrengend, stressig, sie funktionierten nicht und waren es nicht wert, dass ich meine professionelle Energie an ihnen weiter verschwenden sollte. Vollkommen sinnlos mit denen zu arbeiten. Ich reise ab.

 

Heute weiß ich, ich bin den Kindern mit purer Ablehnung und Antipathie begegnet, ich habe ihnen genau das gespiegelt, was - nicht nur im Zusammenleben mit Kindern – zu einem Übel unserer Zeit geworden ist: Eine schnelle Vorverurteilung und Bewertung des Gegenüber und die daraus folgende Ablehnung.

 

So traurig dieses Eingeständnis auch ist, meine verurteilenden Gedanken und die dahinter stehende Negativhaltung verkörperten in dieser Probe so ziemlich alles, wofür die ['blu:boks] nicht steht. Sollte doch die ['blu:boks] ein Ort sein, an dem die Kinder Wertschätzung und

Anerkennung erfahren, ein Ort, wo es nicht darum geht, Erwartungen von Erwachsenen zu erfüllen, etwas leisten zu müssen, um akzeptiert zu werden.

 

Ich musste lernen, dass christliches Miteinander etwas anderes bedeutet, meine erste ['blu:boks] – Lektion, wenn Sie so wollen:  In der ['blu:boks] geht es nicht vordergründig um die künstlerische Arbeit. Sie ist ein Mittel zu einem viel höheren Ziel. Es geht nicht um eine exakte Reihe, und auch nicht um den perfekt gesprochenen Text, ob nun chorisch oder nicht, – es geht um die Kinder, um jedes einzelne von ihnen, den respektvollem Umgang mit jedem Individuum, inklusive seiner Eigenwilligkeiten, seinen Bedürfnissen, Wünschen, Sorgen oder Nöten.

 

Ich bin dort nicht nur als Regisseur, Autor oder Schauspieler gefragt, sondern als MENSCH. In der ['blu:boks] BERLIN werde ich in erster Linie als authentischer Mensch gebraucht. Das ist alles. Und das ist gar nicht so einfach, man selbst sein – wie wir alle wissen.

 

Gefragt ist also der Mensch Thomas Klischke, der sein Ego zu Hause lässt und seinen Blick auf die Kinder lenkt, der die Kinder anschaut wie sie sind, sie annimmt wie sie sind, der ihnen zuhört, der sich interessiert, der Fragen stellt statt Antworten oder Weisheiten zu verteilen, der seine Zeit, Aufmerksamkeit und Liebe vollkommen und allumfassend auf diese Kinder richtet, der sich den Kindern mit Achtung und Wertschätzung nähert. Und mit all dem ein Klima des Vertrauens schafft und beginnt Gemeinschaft zu leben, in dem DANN gemeinsam kreativ gearbeitet werden kann. Mit den Kindern als Partner, als kreative Quelle, als Basis des künstlerischen Prozesses und nicht als ausführendes Organ.

 

In der ['blu:boks] wird das Willkommenskultur genannt. Auf Basis von gelebten Werten wie Respekt, Achtung, Partnerschaft und Liebe entsteht so ein Klima, in dem jeder Mensch - das schließt Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sowie Gäste, Eltern und Freunde mit ein - bedingungslos angenommen ist.

 

Das bedeutet, die ['blu:boks] BERLIN ist ein Ort, ein Erlebnisraum, wo andere Gesetzmäßigkeiten gelten als wir sie gemeinhin kennen, wo jeder sein darf wie er ist, wo niemand ausgeschlossen wird, und Leistung und Bewertung keine Eintrittskarte in die Gemeinschaft ist, ein Ort, wo jeder kommen darf, sein darf, jeder Annahme findet, ein Ort an dem Vertrauen wächst zwischen den Menschen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, und damit wächst auch der Selbstwert jedes einzelnen.

 

Die ['blu:boks] BERLIN ist auch ein Ort, an dem viele junge Menschen ihre Würde, die ihnen die Lebensumstände, schwierige Verhältnisse, Ausgrenzung oder Missachtung genommen haben, wieder zurückgewonnen wird.  Kennzeichnend für die Gemeinschaft der Kinder und Jugendlichen in der ['blu:boks] BERLIN ist, dass sie in der Lage ist, auch besonders extreme Fälle aufzufangen, zu integrieren und zu heilen.

 

Die ['blu:boks] BERLIN ist weiter ein Ort, an dem das zerstörte Vertrauen der Kinder und Jugendlichen in die eigene Erlebniswelt, die in vielen Fällen durch soziale Ausgrenzung, körperliches Leiden, Armut oder Gewalt im Elternhaus gekennzeichnet ist, wieder neu aufgebaut wird.

 

Die „Blue Box“-Technik ist ein Verfahren in der Filmproduktion, das ermöglicht, Personen nachträglich vor einen anderen Hintergrund zu setzen. Und genau das passiert in der pädagogischen Arbeit der ['blu:boks] : Der Hintergrund, die Basis der Kindern und Jugendlichen verändert sich durch persönliche Begleitung, ästhetische Bildung und kreative Förderung. Dieser neue, wertvolle, lebensbejahende Hintergrund basiert auf christlichen Werten und vor allem Liebe.

 

Durch dieses Miteinander wird den Kindern und Jugendlichen ein unbekannter Möglichkeitsweg eröffnet, der sie bereit macht für ein erfülltes, gelingendes Leben mit allen Wundern und Überraschungen, aber auch Schwierigkeiten und Prüfungen.

 

Für diese wertvolle Tätigkeit, diese unschätzbar wichtige Arbeit, die seit nunmehr 7 Jahren kontinuierlich durch alle Höhen und Tiefen praktiziert und gelebt wird, erhält die ['blu:boks] BERLIN heute den Wertestern der Stiftung Christliche Wertebildung, als Zeichen der Anerkennung, des Dankes und der Wertschätzung.

 

Ich wünsche von ganzem Herzen, dass diese Arbeit weiterhin zahllose Freunde, Unterstützer und Nachahmer findet, dass sie sich stetig weiter entwickelt, Zeichen setzt und als Stern für das Umsetzen einer gelungenen Vision am Himmel leuchtet.

 

Herzlichen Glückwunsch liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ['blu:boks] BERLIN. Herzlichen Glückwunsch lieber Torsten. Weiter so!

 

PS: Auch wenn eine Laudatio kein Brief ist, gestatten Sie mir noch ein kleines Postskriptum

anzufügen.

 

Am 10.12.2011 standen meine zehn Elfen und Trolle auf der Bühne des Tempodroms in Berlin; im Kostüm, geschlossen in einer Reihe, den Blick zuversichtlich nach vorn und schmetterten dem Publikum den Gandhi-Satz entgegen:

 

„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt!“

 

Herzlichen Dank fürs Zuhören!

 

Thomas Klischke,

Frankfurt, 18.10.2016